Es war ein schöner Tag. Doch mit ihm an ihrer Seite war jeder Tag schön.
Jenny sah Marc tief in die Augen. Er war ihre wahre Liebe. Das wusste
sie genau. Er sah sie mit genau demselben Blick an. Sie wusste, was er
dachte. Sie verstand ihn und er verstand sie. Es war wundervoll. Sie
saßen auf der Wiese und konnten ihre Augen nicht voneinander lassen.
Alles war wundervoll, das Leben war lebenswert. So war es einmal.
Inzwischen gab es soetwas nicht mehr. Wenn sie sich heute in die Augen
schauten, sahen sie nur Schmerz und Trauer. Jenny hatte Marc verlassen
und sich einen Ersatz gesucht, der seiner letztlich aber doch nicht
würdig war. Es war ihr egal, sie brauchte körperliche Nähe. Sie wusste,
dass es keine Liebe war, was sie empfand, doch es war Nähe, Geborgenheit
und Gern-haben und das reichte ihr. Ohne das würde sie untergehen. Marc
hatte keine neue Beziehung und Jenny wusste, wie sehr er darunter litt.
Auch unter der Trennung. Aber es hatte sein müssen. Er war blind und
dumm gewesen, was er im Nachhinein auch zugegeben hatte. Er hatte sich
geändert, war nicht mehr so, aber Jenny glaubte ihm das nicht. Manche
seiner Verhaltensweisen ähnelten noch immer ein wenig denen von damals
und das verwirrte sie. Er hatte ihr immer wieder versichert, dass er
niemals wieder dieselben Fehler machen würde, sich gebessert hatte, wenn
nötig auch einen Dritten hinzuziehen würde, damit die Streits gelöst
werden konnten, aber Jenny wollte nicht nachgeben. Das Vertrauen war
zerstört. Nachdem er sie damals angelogen hatte, weil er in einer Phase
gewesen war, in der er sehr viel Mitleid gebraucht hatte, und er es ihr
dann gestanden hatte, war nichts mehr so wie vorher. Dort hatte der
Zerfall begonnen. Es war immer schlimmer geworden. Mehr Streits, mehr
Schmerz, er wusste nicht mehr, was er tun konnte und sagte einfach
nichts mehr, wenn sie am Telefon weinte. Das hatte sie noch mehr fertig
gemacht. Darum hatte sie ihn dann letztlich auch verlassen.
Inzwischen
waren sie befreundet. Es war eine komische Art von Freundschaft, aber es
war eine Freundschaft. Sie waren schließlich 3 Jahre zusammen gewesen,
da wollte man sich nicht einfach aus den Augen verlieren. Marc hatte
noch immer diese Stimmungsschwankungen, diese Depressionen, die sie
damals schon fertig gemacht hatten. Aber inzwischen wusste man, woran es
lag. Marc war manisch-depressiv inklusive ultradian rapid cycling, was
bedeutete, dass seine Stimmung von extrem gut gelaunt innerhalb von
Minuten grundlos in schwerste Depressionen abrutschen konnte. Marc
konnte nichts dafür und das wusste Jenny, trotzdem machte es sie fertig
und sie kam damit nicht zurecht. Auch aus solchen Zuständen waren oft
schon Streits entstanden. Es war alles in allem nicht schön gewesen.
Marc hatte inzwischen Medikamente, die ihm zumindest halfen, ganz lösten
sie die Probleme jedoch trotzdem bei Weitem nicht. Jenny hatte seit der
Trennung immer das Gefühl gehabt, dass Marc ihr einiges verschwieg',
bis er ihr gestern gesagt hatte, dass er das nur tat, um sie nicht
runterzuziehen. Er liebte sie immernoch. Er wusste es, auch, wenn er
nichts mehr fühlte. Jenny wusste nichts mehr. Sie war komplett verwirrt.
Jenny's Handy bimmelte und sie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Es
war eine SMS von Marc. Sie wollten sich heute treffen, nachdem sie sich
eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten. Es war 12 Uhr, um 15 Uhr
waren sie in der Stadt verabredet. Marc hatte ihr zur Erinnerung eine
SMS geschrieben, da er schon wusste, dass Jenny wieder in Gedanken
vertieft sein und die Zeit vergessen würde. "Nur zur Erinnerung: Du
musst bald los. (;". Sie musste lächeln, er kannte sie einfach zu gut.
"Ja, ich weiß, keine Sorge, ich bin schon fertig und hätte auch selbst
dran gedacht. Trotzdem danke.", war ihre Antwort. Sie stand auf. Sie war
wirklich schon fertig, da sie sich bereits bevor sie in Gedanken
versunken war angezogen und fertiggemacht hatte. Trotzdem: Hätte Marc
nicht diese SMS geschrieben, hätte sie den Bus mit Sicherheit verpasst.
Sie spürte etwas auf ihrer Wange. Es war warm, nass und glitt langsam
auf ihren Mund zu. Eine Träne. Sie wischte sie weg. Sie hatte nicht
einmal gemerkt, dass sie angefangen hatte zu weinen. Doch es war nun
keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Sie musste los. Ein letzter
prüfender Blick in den Spiegel, war alles in Ordnung, dann auf zur
Bushaltestelle. Im Bus sah sie aus dem Fenster und hörte Musik. Ed
Sheeran. Drunk. Das war eines von Marcs Lieblingsliedern. Laut eigener
Aussage, weil der Text perfekt auf ihn passte. "Nächster Halt:
Fasanenpark", rief der Busfahrer. Erschrocken, dass die Zeit so schnell
vergangen war, sprang sie von ihrem Sitz auf, drückte den Halteknopf und
stolperte zur Tür. Der Bus hielt aprupt und fast wäre Jenny umgefallen,
zum Glück hatte sie noch eine der Stangen zum Festhalten erwischt und
sich so abfangen können. Die Tür ging auf und sie verließ den Bus. Sah
sich um. Da war er. Seit Ewigkeiten hatten sie sich nicht mehr gesehen,
jetzt stand er einfach vor ihr. Sie rannte auf ihn zu und umarmte ihn
stürmisch. Von ihren Emotionen überwältigt gab sie ihm einen Kuss auf
die Wange. Marc lächelte. "Und, was willst du jetzt machen?", fragte er
sie, nachdem sie sich begrüßt hatten. "Wie wär's mit Kaffee trinken und
reden?", schlug sie vor. "Okay, ich kenn' 'n gutes Café, folg' mir
einfach!". So gingen sie die Straße lang und redeten über das, was
aktuell so in ihren Leben passierte. Wenn Jenny ihren aktuellen Freund
erwähnte, sah sie, wie Marc seinen Blick senkte. Es tat ihm höllisch
weh. "Da ist es.", sagte Marc plötzlich und zeigte auf ein Café mit der
Aufschrift: "Lisa's Café". "Den Namen kennen wir doch, oder?", kichterte
Jenny. Sie hatten früher, als sie noch zusammen waren, mal eine
Doppelgängerin von Jenny gesehen, hatten dann darüber gerätzelt, wie sie
heißen konnte und exakt zum selben Zeitpunkt "Lisa" gesagt. Dann hatten
sie laut losgelacht. Damals. Als alles noch gut war. "Ja, den Namen
kennen wir.", erwiderte Marc und grinste. Es war ein trauriges Grinsen.
Sie setzten sich und begannen, über die Zeiten von damals zu reden. Sie
bemerkten nicht mal, wie ihnen der Kaffee, den sie bestellt hatten,
serviert wurde. Irgendwann war Jenny der Kaffee dann aber doch
aufgefallen und sie hatte einen Schluck genommen. Er war lauwarm, schon
fast kalt. Sie mussten schon Stunden geredet haben. Nach einer negativen
Bemerkung von Jenny rechtfertigte Marc sich und begann damit ein Thema,
das er besser nicht weitergeführt hätte. Es gab Unstimmigkeiten. Sie
begannen zu streiten. Sie begann zu weinen und zu schreien. Marc
erwiderte Letzteres. "HÄTTEST DU NICHT DIESE GANZE SCHEIßE GEBAUT, WÄRE
ICH JETZT NICHT SO KAPUTT!!!! DU HAST MICH KAPUTT GEMACHT!!! NUR DU!!!",
schrie Jenny wütend, traurig und verletzt zugleich. "GLAUBST DU, ICH
FÜHL' MICH GUT DESWEGEN?!??! ES TUT MIR LEID!! UNENDLICH LEID!! ABER ICH
KANN ES NICHT MEHR RÜCKGÄNGIG MACHEN!!! EINE ZEITMASCHINE HABE ICH
LEIDER NICHT!!!". "DU HÄTTEST EINFACH GARNICHT ERST LÜGEN DÜRFEN!!", mit
diesen Worten stand sie auf, warf dabei fast ihren Stuhl um und lief
über die Straße weg vom Café. "JENNY, WARTE!!". Sie blieb stehen. Sie
drehte sich nicht um, aber sie blieb stehen. "Vielleicht sagt er doch
einmal das Richtige.", dachte sie. Sie hatte die Hoffnung noch nicht
aufgegeben. Sie drehte sich um. Marc war bereits auf der Straße und auf
dem Weg zu ihr. "Ich weiß, es lief nicht immer gut. Aber wir hatten doch
auch schöne Zeiten, oder nicht? Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe.
Aber macht nicht jeder mal Fehler? Ich wünschte mir wirklich, ich
könnte sie rückgängig machen, aber ich kann es leider nicht. Ich weiß,
dass ich dich nicht verdient habe. Aber ich bitte dich: Lass es uns
nochmal versuchen. Wenn ich wieder einen Fehler mache, kann ich
verstehen, wenn du mich für immer verlässt. Aber bitte: Gib mir noch
eine Chance.". Sein Gesichtsausdruck verriet Jenny, dass er es ernst
meinte. Trotzdem war sie zu unsicher. Konnte ihm nicht genug vertrauen.
"Marc, nein. Es interessiert mich nicht mehr, ob du dich geändert hast.
Es ist mir egal.". Harte Worte. Marc blieb verdutzt und verletzt stehen.
"Das-", wollte er gerade seinen Satz beginnen, dann plötzlich das
Quietschen von Reifen. Ein Hupen. Ein Knall. Ein Aufschlag. Das Auto kam
zum Stillstand und Marc rutschte von der Motorhaube auf den Boden. Er
bewegte sich nicht mehr. Jenny war geschockt. Sie war nicht in der Lage,
sich zu bewegen. Mit offenem Mund starrte sie auf Marc. Sie nahm ihre
Umwelt nicht mehr wahr. Der Autofahrer des Wagens war ähnlich geschockt,
aber bereits in der Lage auszusteigen, was er auch tat. Einige
Passanten rannten zu Marc. Zwei hatten bereits ihre Handys gezückt und
riefen vermutlich einen Krankenwagen. "M... MARC!!!!!!", brach es
plötzlich aus Jenny raus. "MAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARC!!!!!!!!!". Sie
rannte los, hin zu ihm, rammte ein paar der Passanten zur Seite. Fiel
auf die Knie. Sah ihn an. Er hatte eine große Platzwunde auf der Stirn,
direkt in der mitte. Seine Augen waren offen. Er atmete nicht. "NEIN!!!
MARC!!!! NEIN!!!! ES TUT MIR LEID!!! ICH-". "Entschuldigen sie, kennen
sie diesen Mann?", unterbrach einer der Passanten sie. "JA!!! ICH WAR 3
JAHRE MIT IHM ZUSAMMEN, 2 DAVON MIT IHM VERLOBT, NATÜRLICH KENNE ICH
IHN!!!!!", schrie sie und brach in Tränen aus. "Marc.. Marc, nein..
bitte nicht.. wach auf.. bitte.. wach auf.. Marc, nein..", stammelte sie
immer wieder verzweifelt. Dann: Sirenen. Der Notarzt war da. Sie taten
sich schwer, Jenny von ihm fernzuhalten. Sie wehrte sich, schrie, wollte
wieder zu ihm. Sie war komplett verzweifelt und in Panik. Es konnte
nicht so enden. Es durfte nicht so enden. Doch es endete so. Der Arzt
erklärte ihn noch an der Unfallstelle für tot und Jenny brach zusammen.
Sie hatte mit ihm die schönste Zeit ihres Lebens gehabt und nun sollte
er tot sein? Das konnte einfach nicht wahr sein. Es wollte nicht in
ihren Kopf rein. Der Notarzt erlaubte ihr nicht, mitzufahren, da sie ja
inzwischen schon mehrere Monate getrennt waren. Sie schlug einen der
Ärzte, doch ein Zweiter schob sie aus dem Wagen und Marc wurde
weggebracht. Ohne Blaulicht. Keine Chance auf Rettung. Es war endgültig
vorbei. Sie weinte. Bitterlich. Dann ging sie, noch immer weinend, zur
Bushaltestelle. Sie hatte mit ihm über alles reden können, er war der
Einzige gewesen, der sie immer verstanden hatte. Mit wem sollte sie
jetzt reden? Keiner verstand sie, so, wie er sie verstand. Keiner war so
für sie da, wie er für sie da war. Mit Keinem hatte sie so vieles
erlebt, wie mit ihm. Sie wusste nichts mehr. Ihr Kopf war leer. Der Bus
kam. Jenny war noch zu weit von der Station entfernt, damit der Bus
erkannte, dass jemand einsteigen wollte. Jenny wusste, sie musste
laufen, um den Bus noch zu erwischen. Sie rannte los. Rechts in der
Ferne die Bushaltestelle, links die Straße. Die Tränen liefen ihr die
Wangen runter. Plötzlich drehte sie nach links ab. Sie war sich sicher,
dass sie so nicht konnte. Es ging nicht. Sie lief vor den Bus. Bremsen.
Zum zweiten Mal an diesem Tag ein dumpfer Aufschlag. Jenny wurde durch
die Luft geschleudert, schlug auf dem Boden auf, schlitterte über den
Boden und blieb etwa 25 Meter vom Bus entfernt liegen. "Vielleicht
funktioniert es mit uns da, wo wir beide jetzt hinkommen, besser..",
dachte sie, begann zu lächeln und schloss ein letztes Mal ihre Augen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen